Die Artikel von Tommy Dätwyler im Forum Alpinum 01-2022 in den Alpen 03/2022 erwecken den Eindruck, dass es über das Schlafen in normobarer Hypoxie zur Vorakklimatisation keine wissenschaftlichen Daten gibt, die eine Bewertung dieser Methode erlauben. Der Autor und die befragten Experten übersehen dabei, dass bereits vor 8 und 11 Jahren Resultate aus Placebo-kontrollierten Studien mit Verblindung der Probanden (Goldstandard für diese Art von Studien) publiziert wurden, welche die Möglichkeiten und Praktikabilität des Schlafens in Hypoxie zur Vorakklimatisation abschätzen lassen.
23 nicht akklimatisierte Probanden schliefen an 7 aufeinanderfolgenden Nächten jeweils 7-8 Stunden in einem vergleichsweise komfortablen Zelt (3 x 2.4 x 2.3 m) bei Raumluft oder bei zunehmender Hypoxie, die einer Höhe von 2200m – 3100 m entsprach. 24 Stunden nach Abschluss der Exposition im Zelt zeigte sich keine klinisch relevante Verbesserung der akuten Bergkrankheit (ABK) in 4300 m Höhe (Fulco and others 2011). Schlafen unter vergleichbaren Bedingungen über 14 aufeinanderfolgende Nächte in kleinen Zelten, wie sie im Artikel von Dätwyler abgebildet sind, führte in simulierter Höhe von 4500 m zu einer Reduktion der ABK (Dehnert and others 2014) vergleichbar mit dem Effekt eines 6 tägigen vorgängigen Aufenthaltes in 2000 m (Beidleman, 2009) oder einer medikamentösen Prophylaxe mit Diamox (2 x 125 – 250 mg/Tag) (Richalet, 2012).
Unsere Studie, an der 79 Probanden teilnahmen, zeigte aber auch, dass das Schlafen in kleinen Zelten den Komfort erheblich stören kann. Erstens verursachte der Kompressor des Hypoxiegenerators beträchtlichen Lärm, über den sich gelegentlich auch Mitbewohner der Probanden beklagten und zweitens kam es in den Zelten zu einem Anstieg der Luftfeuchtigkeit und der Temperatur, so dass die Studie deswegen im Sommer unterbrochen werden musste. Da die Konzentrationen von O2 und CO2 in den Zelten kontinuierlich gemessen wurden, zeigte sich auch, dass nicht alle Geräte zuverlässig arbeiteten. Wir sind der Meinung, dass für gesunde Personen keine medizinischen Risiken bestehen, vorausgesetzt die Hypoxie wird langsam gesteigert und die Geräte so sicher sind, dass die eingestellte maximale Hypoxie nicht überschritten werden kann.
Unsere Studie zeigt, dass das Prinzip Schlafen in Hypoxie im Tiefland zur Reduktion von AKB wirksam ist. Die dafür notwendige Dauer und das Ausmass der Hypoxie sind von der Zielhöhe abhängig. Es ist wahrscheinlich, dass eine ausgeprägtere Hypoxie im Schlaf über mehr als 2 Wochen zu einer relevanten Akklimatisation für Höhen über 4500 m führt. Da die Schlafqualität in Höhen über 3500 – 4000 m oft durch periodische Atmung gestört wird, ist deshalb mit einer individuell unterschiedlichen maximal tolerablen «Höhenlimite» für einen guten Schlaf in Hypoxie im Tiefland zu rechnen. Die durch Temperatur- und Feuchtigkeitsanstieg bedingte Beeinträchtigung des Schlafens könnte durch Verwendung von grösseren Zelten vermindert werden. Ferner sollen spezielle, kleine Klimaanlagen für den Einsatz im Zelt entwickelt worden sein. Diese Massnahmen haben natürlich Ihren Preis und ihre Wirksamkeit müsste in kontrollierten Studien untersucht werden. Schliesslich muss der eilige Gipfelstürmer selbst entscheiden, welche verfügbaren Methoden zur Minimierung der Aufstiegszeit für ihn am besten ist unter Berücksichtigung der Kosten, des Zeitaufwandes, der Praktikabilität und der Wirksamkeit. Bis auf eine Endhöhe von 4500 m sind Diamox (2 x 125 – 250 mg/Tag) mit Kosten von etwa 1.40 CHF/Tag sowie mehrtätige oder wiederholte Touren in den Alpen mit Übernachtungen in Höhen > 2500 m bedenkenswerte Alternativen zum Schlafen im Hypoxie Zelt. Auf eine Diskussion der ethischen und philosophischen Fragen, welche die verschiedenen Massnahmen zur Höhenakklimatisation aufwerfen, können wir an dieser Stelle nicht eingehen.
Wir bezweifeln, dass man lediglich mit Schlafen in Hypoxie eine Vorakklimatisation erreichen kann, die – wie der Expeditionsanbieter Kari Kobler hofft – den Zeitaufwand inkl. An- und Rückreise für eine Everest Besteigung halbiert, d.h. auf etwa 4 Wochen reduziert. Die Everest Turbo Expedition (Richalet 1992) zeigte, was es dazu an Vorakklimatisation braucht. Fünf erfahrene Bergsteiger erreichten – ohne zusätzlichen Sauerstoff – auf der Nordseite ab Katmandu in 8 Tagen eine Höhe von 7800 m. Wegen des schlechten Wetters blieb der Gipfelerfolg verwehrt. Alle 5 Teilnehmer hatten in den 3 Monaten vor der Expedition regelmässig in den Alpen trainiert. Die eigentliche Vorakklimatisationsphase bestand in einem 7-tägigem Aufenthalt in der Vallot Hütte (4350m) gefolgt von 4 Expositionen über 10 – 24 Stunden in einer Unterdruckkammer mit ansteigender Höhe (6000 -8800 m). Dieses Programm füllte den Alltag der Probanden vollständig aus und muss deshalb als Beginn der Expedition betrachtet werden. Der gesamte Zeitaufwand ab Aufstieg zur Vallot Hütte inklusive Anreise bis zum Erreichen einer Höhe von 7800 m betrug 23 Tage.
Unsere Zweifel an Kari Koblers Einschätzung werden auch genährt von einem Bericht über einen Österreichischen Mt. Everest- Anbieter, der den Zeitaufwand inklusive An- und Rückreise auf total 29 Tage verkürzen konnte, bei 100 % Gipfelerfolg. Aus dem Alpinmedizinischen Rundbrief der Österreichischen Gesellschaft für Alpin und Höhenmedizin (Vol. 59, 2018, Seiten 16 – 23) geht hervor, dass ein exorbitanter Einsatz von Flaschensauerstoff der Schlüssel zum Erfolg war. Ab einer Höhe von 6600 m wurde 3 von 4 Teilnehmern zusätzlicher Sauerstoff verabreicht und ab 8200 m atmeten alle doppelt bis dreimal so viel Flaschensauerstoff (8l/min) wie auf einer «normalen» Everest-Expedition. Auf jeden Kunden entfielen 2 Sherpas, wovon einer der persönliche Climbing-Sherpa war, der auch Ersatzregler und Ersatzmasken mitführte. Der Vorakklimatisation durch Schlafen in Hypoxie, die im oben genannten Artikel nicht genauer beschrieben wurde, kommt angesichts der übrigen Aufstiegshilfen wohl eine geringe Bedeutung zu.
Abschliessend sei darauf hingewiesen, dass der Placeboeffekt bei Massnahmen zur Prävention oder Therapie der ABK beträchtlich ist (Bärtsch, 2021). Deshalb sollen fundierte Empfehlungen zur Prävention und Therapie der ABK auf Ergebnissen von Placebo-kontrollierten, wenn immer möglich doppelblinden Studien, und nicht auf Untersuchungen ohne Kontrollgruppen, auf Fallberichten oder auf persönlichen Erfahrungen von Experten beruhen.
Prof. Dr. med. Peter Bärtsch
Emeritus, Medizinische Klinik
Universitätsklinikum Heidelberg
www.hoehenmedizin.eu
PD Dr. med Christoph Dehnert
medbase Löwenstrasse
Zürich
Referenzen
Bärtsch P. (2021). The Impact of Nocebo and Placebo Effects on Reported Incidence of Acute Mountain Sickness. High Alt Med Biol.
Beidleman BA, Fulco CS, Muza SR, Rock PB, Staab JE, Forte VA, Brothers MD, Cymerman A. (2009). Effect of six days of staging on physiologic adjustments and acute mountain sickness during ascent to 4300 meters. High Alt Med Biol 10,253-260.
Dehnert C, Bohm A, Grigoriev I, Menold E, Bartsch P. (2014). Sleeping in Moderate Hypoxia at Home for Prevention of Acute Mountain Sickness (AMS): A Placebo-Controlled, Randomized Double-Blind Study. Wilderness Environ Med 25,263-267.
Fulco CS, Muza SR, Beidleman BA, Demes R, Staab J, Jones J, Cymerman A. (2011). Effect of repeated normobaric hypoxia exposures during sleep on acute mountain sickness, exercise performance, and sleep during exposure to terrestrial altitude. Am J Physiol Regul Integr Comp Physiol 300,R428-R436.
Richalet J-P, Bittel J, Herry J-P, Savourey G, Le Trong J-L, Auvert J-F, Janin C. (1992). Use of a hypobaric chamber for pre-acclimatization before climbing Mount Everest. Int J Sports Med 13,S216-S220.
Richalet JP, Larmignat P, Poitrine E, Letournel M, Canoui-Poitrine F. (2012). Physiological risk factors of severe high altitude illness: a prospective cohort study. Am J Respir Crit Care Med 185,1092-198.